Die Gebärfähigkeit taucht immer dann auf, wenn nach körperlichen Voraussetzungen der Geschlechterdifferenz gefragt wird. Als Aufruf eines unverfügbaren Moments gehört sie zum Vokabular des Alltagsverstands, der Verteidigung der Differenz, aber manchmal auch zu jenem des materialistischen Feminismus, der an Grenzen der Dekonstruktion erinnern möchte. Demgegenüber möchte ich die alte Frage danach, wann Biologie zum weiblichen Schicksal wurde, erweitern: Und seit wann ist Schicksal mit dem Wort Gebärfähigkeit beschrieben? Der Vortrag skizziert die Bewegung des Verhältnisses von Subjekt und Geburt von der Aufklärung über das 19. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus. „Der Mensch ist frei geboren …“ – verhandelte der frei Geborene seinen ersten Grund als geschlechtslose Antinomie der reinen Vernunft (Kant), integrierte die liberale Medizin des 19. Jahrhunderts Weiblichkeit in „des Menschen Sein” (Virchow), wurde die sexuelle Reproduktion im NS zum Gegenstand völkischer Arrangements. An dieser Stelle verwandelten sich die Geburt und das Gebären in die Gebärfähigkeit, das bevölkerungspolitische Potenzial der Frauen. Diesem biopolitisch zugerichteten weiblichen Subjekt galt die feministische Dekonstruktion der 1990er Jahre – die allerdings seine Geschichte unterschlug. Der Vortrag schließt mit Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte von Judith Butlers Gender Trouble in Deutschland.
Es spricht Karina Korecky, die an der Universität Freiburg zu Psychiatrie & Subjektivität promoviert und zu verschiedenen Aspekten feministischer Theorie publiziert, u.a. Der Muttermythos. Die deutsche Öffentlichkeit diskutiert die Studie ‚Regretting Motherhood‘ der israelischen Soziologin Orna Donath in: Konkret, Nr. 3, 2016.
Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37.