Wenn Russland seine Nachbarstaaten bedroht, kann es auf das Verständnis nicht nur Linker und Friedensbewegter für sein »legitimes Sicherheitsinteresse« zählen. Das macht es möglich, Russlands Aggressionen und den jetzigen Krieg gegen die Ukraine in geopolitischen Kategorien zu fassen, und zwar in der spezifischen Weise deutscher Ideologie: Das russische Vorgehen lässt sich so als einer rationalen Einsicht folgend objektivieren und legitimieren; von der NATO immer weiter unter Druck gesetzt, gehorcht Russland dieser Darstellung folgend geradezu einem ›geopolitischen Zwang‹. Auf diese Weise wird das Denken in Einflusssphären beglaubigt, weshalb die Ukraine eben akzeptieren müsse, nicht primär Subjekt, sondern Objekt zwischenstaatlicher Beziehungen zu sein. Ein so verstandener Primat der Außenpolitik erlaubt es, über die Verhältnisse im Inneren Russlands hinwegzusehen. Es gilt jedoch, diesen Primat genau andersherum zu begreifen: Gerade weil die Machtverhältnisse im Inneren des Putinschen Systems so prekär sind, kommt es umso mehr auf die außenpolitische Konstellation an, um die Einheit des Staates herzustellen. Der Vortrag stellt die genannten Zusammenhänge dar.
Es spricht Thorsten Fuchshuber (Brüssel), Autor des Buches Rackets. Kritische Theorie der Bandenherrschaft (ça ira-Verlag) und Redakteur der Zeitschrift sans phrase. Um 19 Uhr im Büro des ça ira-Verlages, Günterstalstr. 37, im Hinterhof.