Klaus Heinrich, der 2020 verstorbene Religionswissenschaftler und Mitbegründer der Freien Universität Berlin, war nicht nur im wissenschaftlichen Betrieb des Nachkriegsdeutschland eine Ausnahmeerscheinung. Seine stets in Bewegung und frei vorgetragenen Vorlesungen, die nebst Vorträgen und kleineren Schriften zuerst bei Stroemfeld und seit 2019 im ça ira-Verlag erscheinen, bieten auch für die Konflikte der Gegenwart eine große Fülle an Anknüpfungspunkten. Seine Religionswissenschaft auf religionsphilosophischer Grundlage unternimmt den unermüdlichen Versuch, auf der Basis von Freuds Psychoanalyse und Adorno/Horkheimers Dialektik der Aufklärung und in der Auseinandersetzung mit den spannungsreichen Stoffen der Religionen und Mythen, der durch ihre Geschichte hindurch stets von Selbstzerstörung bedrohten menschlichen Gattung »ein Bewusstsein ihrer selbst zu geben.« Klaus Heinrichs Arbeiten, die man auch als eine materialistische Kritik sowohl logischer wie theologischer und ästhetischer Denkformen begreifen kann, erlauben es, diese noch in ihrer abstraktesten Gestalt zugleich als sedimentierte geschichtliche Inhalte zu lesen, als prekäre Versuche, die Angst vor äußerer Bedrohung und innerer Zerrissenheit durch Verschiebung und Stillstellung zu bewältigen oder zu verdrängen. Der Vortrag gibt eine erste Einführung in Heinrichs Denken, das seinen zeitlosen und doch sehr genau an die Erfahrung des Nationalsozialismus gebundenen Ausgangspunkt in folgender Frage hat: »Ist die verdrängungsfreie Realität nur zu erkaufen durch Aufgabe der auf Verdrängungen aufgebauten Zivilisation, oder gibt es Formen der ebenfalls zivilisatorischen Sublimierung, die dennoch nicht verdrängend sind?«
Es spricht Rolf Bossart, Publizist und Lehrbeauftragter für Religionswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen. Er beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit dem Werk von Klaus Heinrich.
Alle Vorträge finden als Zoom-Konferenzen statt. Anmeldungen für die jeweilige Veranstaltung unter: jourfixe@isf-freiburg.org. Der Link zum Onlinevortrag wird im Verlauf des Nachmittags vor dem jeweiligen Beginn (20 Uhr) per E-Mail verschickt.