Gemeinhin wird die bürgerliche Philosophie samt ihrer Menschenrechtsmetaphysik als ausgemachter Gegensatz zum nationalsozialistischen Volkstum begriffen. Während die Vernunft als Aufklärung gegenüber allen Vorurteilen erstrahlt, wird der Nationalsozialismus als sinisterer Rückfall in eine vor- oder zumindest antimoderne Barbarei verstanden. Dass hingegen der oberste aller Aufklärungsideologen, Immanuel Kant, der mit am häufigsten zitierte Philosoph innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung war, fällt dabei völlig unter den Tisch.
Dieser Zusammenhang von Kant und Nationalsozialismus soll anhand der Kant’schen Philosophie selbst erklärt werden. Denn in Wahrheit ist Kant nicht nur der Durchsetzungsideologe des modernen Sexismus und Antisemitismus, wie der Vortrag zu zeigen versuchen wird, sondern er hat obendrein den »Rasse«-Begriff in Deutschland eingeführt und mit seinen anthropologischen Schriften die entsprechende Fachdisziplin gegründet. In diesem Kontext sollen auch die nationalsozialistischen Referenzen auf Kant reflektiert und in den Kontext von Aufklärungsvernunft und Ideologiebildungen eingeordnet werden.
Es spricht Daniel Späth, Redakteur der wertabspaltungskritischen Gruppe fractura – Gruppe für kategoriale Kritik. Als Autor beschäftigt er sich vor allem mit Aufklärungskritik, Psychoanalyse und Staatskritik.