Thema: Rechtsstaatswidrige Tatprovokation durch Verdeckte Ermittler
Referenten: Rechtsanwälte Jan Wennekers und Dr. Jan-Carl Janssen, Anwaltskanzlei im Hegarhaus, Freiburg
Abstract: Der Einsatz Verdeckter Ermittler ist unter dem Blickwinkel der funktionsfähigen Strafverfolgung organisierter Kriminalität grundsätzlich nachvollziehbar. Unter Verdeckten Ermittlern werden Beamte des Polizeidienstes verstanden, die unter einer ihnen verliehenen, auf Dauer angelegten, veränderten Identität (Legende) ermitteln (§ 110a Abs. 2 Satz 1 StPO). Insbesondere bei Straftaten aus dem Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts gehen Beschuldigte häufig konspirativ vor, so dass andere (nach der Strafprozessordnung zulässige) Ermittlungsmethoden nur bedingt erfolgsversprechend sind. Die Eingangsvoraussetzungen für den Einsatz Verdeckter Ermittler sind gesetzlich geregelt, anders als der Einsatz von sogenannten Vertrauenspersonen, die keine Polizeibeamten sind.
Ein besonderes Problemfeld eröffnet es nun, wenn es im Rahmen solcher Einsätze nicht nur zur Informationsbeschaffung, sondern zur „Tatprovokation“, also Deliktsveranlassung durch Verdeckte Ermittler, Vertrauenspersonen oder sonstige polizeiliche Lockspitzel kommt. Die gesetzlichen Regelungen für diese, im Spannungsfeld mit dem Recht auf ein faires Verfahren stehenden Vorgehensweise, sind unzureichend. Die deutsche obergerichtliche Rechtsprechung stand lange nicht im Einklang mit der Linie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, zuletzt etwa der im Oktober 2020 ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte „Akbay u.a. gegen Deutschland vom 15.10.2020“.
Der Vortrag wird am Beispiel des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 16.12.2021 (1 StR – 197/21) näher auf die Entwicklung der Rechtsprechung zur Tatprovokation durch Verdeckte Ermittler eingehen, sowie auf die konkreten Ermittlungsmethoden, mit denen sich Beschuldigte und ihre Verteidiger immer wieder konfrontiert sehen. Auch nach dieser jüngsten BGH-Entscheidung bleiben Fragen der rechtsstaatlichen Vereinbarkeit der praktischen Einsatzweise ungeklärt. So ist etwa die Konfrontationsmöglichkeit mit dem Verdeckten Ermittler als Zeugen im Prozess stark eingeschränkt, sowie die Dokumentation der Einsätze nicht überprüfbar. Auch stellt sich aus Sicht des Praktikers die Frage, inwieweit die Beschränkung des Einsatzes Verdeckter Ermittler auf „Straftaten erheblicher Bedeutung“ (§ 110a Abs. 1 S.1 StPO) effektiv eingehalten und überwacht wird. Zumindest ist auch auf politischer Ebene bestehender Handlungsbedarf erkannt worden: Im Koalitionsvertrag von SPD, GRÜNEN und FDP vom 24.11.2021 heißt es: „Unter anderem regeln wir […] das grundsätzliche Verbot der Tatprovokation“. Die tatsächliche Ausgestaltung darf mit Spannung erwartet werden. Die Referenten sind als Strafverteidiger im Anwaltsbüro im Hegarhaus Freiburg tätig und waren am Verfahren, das Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshofs war, beteiligt.
Die Vortragsreihe Tacheles wird vom Arbeitskreis Kritischer Jurist*innen (akj) Freiburg, der Humanistischen Union Baden-Württemberg sowie dem Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht der Universität Freiburg veranstaltet.