»Heroismus aus Langeweile«?
Ernst Jünger zwischen Dandytum und Faschismus »
…als der Krieg die Gemeinschaft Europas zerriß, als wir hinter Fahnen und Symbolen, über die mancher längst ungläubig gelächelt, uns gegenüberstellten zu uralter Entscheidung. Da entschädigte sich der wahre Mensch in rauschender Orgie für alles Versäumte. […] Und alles, was das Hirn im Laufe der Jahrhunderte in immer schärfere Formen gestaltet, diente nur dazu, die Wucht der Faust ins Unermessliche zu steigern.«
– Der Kampf als inneres Erlebnis, 1922
»Vielleicht war es nur die Methodik, die ihn an Katastrophen und Delirien vorbeiführte. Sie hatten ihn oft gestreift. Er war der Meinung, daß jede Droge eine Formel enthält, die Zugang zu gewissen Welträtseln gewährt. […] Er suchte den Hauptschlüssel. Muß aber nicht das stärkste Arkanum notwendig tödlich sein?«
– Heliopolis, 1949 / Drogen und Rausch, 1970
»Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch.«
– In Stahlgewittern, 1920
Der Name Ernst Jünger ist längst zur geraunten Chiffre geworden, an der sich Gegner wie Verehrer als Eingeweihte erkennen. Den Einen gilt der notorisch als »umstritten« Etikettierte als »Wegbereiter des Nationalsozialismus« und »eiskalter Wollüstling der Barbarei« (Thomas Mann), als Kriegsverherrlicher und Galionsfigur der »Neuen Rechten«, den Anderen als »aktiver Nazigegner« (Hannah Arendt), Surrealist, Dandy und Ästhet. In Frankreich hingegen, so behauptete schon Jünger selbst gern, sei die literarische Rezeption seines Werkes weniger von politischer Diskussion überlagert als in Deutschland.
In enger Rückbindung an Jüngers Texte bemüht sich Moritz Liewerscheidt in seinem Vortrag um eine kritische Einführung in Leben und Werk Ernst Jüngers, die insbesondere das ambivalente Verhältnis des Autors (1895-1998) zu Faschismus und Nationalsozialismus untersucht. So lässt sich anhand von Jüngers Entwicklung exemplarisch nachverfolgen, aus welcher mentalitäts- und ideengeschichtlichen Konstellation die irritierende Faszination einer um die Jahrhundertwende geborenen Generation von Schriftstellern und Intellektuellen für den Faschismus entsprang – deren spätere Haltung zum „Dritten Reich“ wesentlich davon abhing, ob sie dieses als einen heroischen Versuch der Überwindung des modernen Rationalismus deuteten oder aber als Fortführung und Verschärfung desselben.
Wer sich indes Faschisten und ihre Vorläufer gern als Bürokraten und lustfeindliche »Spießer« imaginiert – wie es ein populäres Missverständnis seit Jahrzehnten nahelegt –, dürfte nicht nur von Jüngers frühen Schriften unangenehm überrascht werden.
Moritz Liewerscheidt studierte Philosophie und Geschichte in Düsseldorf und Medienkunst mit Schwerpunkt Film in Köln. Seit 2012 freier Filmemacher im Bereich des Essay- und Experimentalfilms. In Vorbereitung eines Essayfilms beschäftigte er sich intensiv mit dem Werk Ernst Jüngers. Liewerscheidt lebt in Berlin."