ZEIT DES SCHWEIGENS UND DER DUNKELHEIT
Josef Reinhardt blickt auf das weite Feld. Der Bauer neben ihm schaut meist nach unten oder zur Seite, um dann zu murmeln: »Das weiß ich nicht mehr.« Die fehlende Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten scheint für den einen Segen, für den anderen Anlass einer Reise nach Salzburg. Hier stand von 1940 bis 1943 das Zwangslager Maxglan, von dem aus das NS-Regime viele der Insass*innen in Vernichtungslagern ermordete. Auch Josef Reinhardt war als Kind mit seiner Familie dort, wo wir jetzt auf unschuldig grünes Land blicken. Nina Gladitz folgt ausgehend von seiner Lebensgeschichte der Produktionsgeschichte des Films TIEFLAND, den die in der NS-Zeit wirkende Filmemacherin Leni Riefenstahl zwischen 1940 und 1944 drehte. Dafür benutzte sie Sinti und Roma, die im Zwangslager gefangen gehalten wurden und setzte sie als Kompars*innen ein. Gladitz geht beobachtend der Frage nach, wie unwissend die Regisseurin und Produzentin tatsächlich gewesen sein konnte. Viel wichtiger noch: Sie verleiht den Sinti und Roma Stimmen und dadurch die Möglichkeit, ihre eigene Geschichte neu zu fassen.
ZEIT DES SCHWEIGENS UND DER DUNKELHEIT war nach einem Gerichtsurteil lange unzugänglich. Ein offener Brief 2021 bewirkte, dass der WDR eine erneute Prüfung der Akten vornahm. Es wurde entschieden, dass in Hinblick auf die Bedeutung des Films für eine wissenschaftliche und gesellschaftliche Aufarbeitung der Ausgrenzung und Ermordung von Sinti und Roma während des Nationalsozialismus eine Freigabe für den Film erfolgen kann. Dieser Film beinhaltet diskriminierende Sprache.
Nina Gladitz wurde 1946 in Schwäbisch Gmünd geboren. Nach einem Studium der Sozialpädagogik studierte sie Film an der HFF München. Besonders ihr Aktivismus gegen das Kernkraftwerk Wyhl prägte in den 1970er-Jahren ihre filmischen Arbeiten. Ihr Film LIEBER HEUTE AKTIV, ALS MORGEN RADIOAKTIV prägte eine Generation. Politische Filme zu machen, war auch das Ideal ihres im Kollektiv gegründeten unabhängigen Filmverleihs. Mit ZEIT DES SCHWEIGENS UND DER DUNKELHEIT begann ihre Recherche zu den Produktionsbedingungen der Filme von Leni Riefenstahl und so auch die weiterführende Auseinandersetzung mit den daraus ersichtlichen Verbindungen zu NS-Verbrechen, die diese selbst zu Lebzeiten leugnete. Mit dem Buch „Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin“, das 2020 erschien, vertiefte sie diese Arbeit. Es wurde ein Abschluss von Leben und Werk: Nina Gladitz verstarb 2021.
In Kooperation mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e.V. – Projekt ReFIT Freiburg und der AG DOK – Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm e.V.
D 1982 / OmU / 60 Min. //
Regie, Buch, Bildgestaltung, Montage: Nina Gladitz //
Mi 27.3., 19:30, Einführung: Prof. Sabine Rollberg & Astrid Bischofberger //
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Solidarität statt Migrationskrise
Nennen wir das Problem beim Namen. Es heißt nicht Migration. Es heißt Rassismus. „In den letzten Jahren hat sich in weiten Teilen Europas ein politischer Rassismus etabliert, der die Grenzen zwischen den konservativen, rechten und faschistoiden Lagern zunehmend verschwimmen lässt. Für Deutschland gilt: Der bislang größte Erfolg der AfD war nicht ihr Einzug in den Bundestag. Ihr mit Abstand größter Erfolg ist, dass man sich in diesem Land wieder hemmungslos menschenverachtend geben und äußern kann. Rassismus ist wieder ganz normales Alltagsgeschäft geworden, im hohen Haus in Berlin wie beim Bäcker um die Ecke. Bei `Spitzenpolitikern´ und Normalsterblichen, bei `Liberalen´ – und selbst unter Linken.“ (kritnet, medico international, 2018)
Wir laden Sie mit unseren Kooperationspartner*innen herzlich zu unseren Filmen und Diskussionen zu den „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ ein.