Der Bildungsweg von Frauen war bis weit ins 20. Jahrhundert schwierig, die akademische Bildung musste regelrecht erkämpft werden. In verbissener Geschlossenheit wehrten die deutschen Universitäten jeden Versuch ab, das Frauenstudium einzuführen. Vorstöße hatte es bereits im 19. Jahrhundert viele gegeben, sei es direkt – und immer dringlicher und lauter – von Frauenvereinen, sei es über die Ministerien in einzelnen Ländern des Reichs, die durch derartige Vorstöße in Handlungsdruck gerieten, sei es durch das Beispiel anderer Länder. Vor allen Dingen war es die deutsche Professorenschaft, die in dieser Frage eisern und mit großer Mehrheit bei einem Nein blieb. Noch 1898 meldete Prof. Dr. Heinrich Rosin, Prorektor der Universität Freiburg, seinem Minister in Karlsruhe: an keiner deutschen Universität sei Frauenimmatrikulation zugelassen noch werde sie irgendwo ernsthaft erwogen.
Unter den jungen Frauen, die nach dem ministeriellen Erlass vom 28. Februar 1900 an die badischen Unis kamen, waren erstaunlich viele Jüdinnen. Für 1928 liegen Zahlen vor: in Freiburg studierten im Sommersemester 699 Studentinnen, davon gaben 13 % als Religionszugehörigkeit „israelitisch“ an (reichsweit waren es 7% aller Studentinnen).
Dabei war ihr Bildungsweg komplizierter als der anderer Studentinnen und sie waren der doppelten Diskriminierung als Frau und als Jüdin ausgesetzt. Aber sie begegneten den Schwierigkeiten erfahrener. Denn sie hatten sich von Kindheit an häufig in zwei Bildungskulturen bewegen müssen: in der traditionell jüdischen in Sprache, Schrift und Inhalten sowie in der christlich geprägten, die die öffentliche Schule allen Kindern vermittelte. Für jüdische Eltern war es im 19. Jahrhundert selbstverständlich geworden, ihre Kinder soviel und so lange wie möglich im öffentlichen Bildungssystem lernen zu lassen und dafür zu bezahlen. Bildung war ein hohes Gut. Diese Hochschätzung war jüdisches Erbe. Sie auch den Töchtern auf allen Ebenen zugänglich zu machen, war in vielen Familien üblich.
Drei junge Mädchen einer Generation sollen illustrieren, wie die Teilhabe an Bildung aussah:
Rahel Straus, geb. Goitein: 1880 Karlsruhe – 1963 Jerusalem / orthodoxe Jüdin
1899 Abitur am ersten deutschen Mädchengymnasium in Karlsruhe
1900-1905 Studium der Medizin in Heidelberg
1907 Promotion
1908 - 1933 gynäkologische Praxis in München
Rahel Strauss war in München zwar nicht die erste Ärztin unter ausschließlich Männern, aber sie war die erste, die an einer deutschen Universität ausgebildet worden war, in Baden, das als erstes Land im Reich das Frauenstudium erlaubt hatte.
Lise Meitner: 1878 Wien – 1968 Cambridge / evangelisch erzogen, 1908 getauft
1901 externes Abitur am Akademischen Gymnasium Wien
1901 – 1906 Studium der Physik, Mathematik, Philosophie in Wien
1906 Promotion in Physik
1922 Habilitation, 1926 ao. Professorin in Berlin
Lise Meitner wurde also erst vier Jahre nach der Habilitation außerordentliche Professorin in Berlin. Sie wurde damit die erste Professorin für Physik an einer deutschen Universität.
Agathe Lasch: 1879 Berlin – 1942 Riga (ermordet) / ohne sichtbaren Religionsbezug
1898 – 1906 Lehrerin an privaten Mädchen-und Gewerbeschulen in Berlin und Halle/Saale
1906 externes Abitur an einer Knabenschule in Berlin
1907 – 1909 Studium der Germanistik und Romanistik in Halle und Heidelberg
1909 Promotion
1910 – 1916 Associate Professor am Bryn Mawr College in Pennsylvenia/USA
1919 Habilitation / 1923 Professorinnentitel
Agathe Lasch habilitierte sich 1919, blieb aber weiter "Hilfskraft" in einem Institut. Der Hamburger Senat verlieh ihr schließlich vier Jahre später wenigstens den Titel "Professorin", ohne dass sie eine Stelle bekam - es gab in Hamburg gar keine Universität.
1926 erste professorale Stelle der neugegründeten Hamburger Universität/ erste Germanistik-Professorin in ganz Deutschland.
Drei deutsche Akademikerinnen zwischen Akkulturation, Assimilation und wissenschaftlicher respektive beruflicher Karriere. Nichts deutet in den Biographien darauf hin, dass Judentum für die Karriere jeder einzelnen ein echter Hemmschuh war. Zu eng sind Frausein und Judentum miteinander verquickt, als dass es sich im Einzelnen trennen ließe – Diskriminierung war es in jedem Fall. Gemeinsam war ihnen ein unbezähmbarer Wissensdrang, unermüdliche, freudige Lernbereitschaft, wache Neugier und zähes Durchhaltevermögen. Sie resignierten nicht, sie suchten neue Wege und wechselten im Zweifel den Ort. Weder die soziale Herkunft, noch der Bildungsgrad im Elternhaus hielten sie ab. Ihr Weg an die Universität scheint uns im Nachhinein alternativlos, jede beschritt ihn unbeirrt.
Umso tiefer war der Einschnitt des Jahres 1933. Das Gesetz vom 7. April 1933 machte sie unterschiedslos zu Jüdinnen, ob sie getauft waren, sich vom Judentum distanziert hatten oder gläubige Jüdinnen geblieben waren – die Rassenideologie schredderte ihre Laufbahn, beraubte sie ihrer Titel, zerriss ihr Leben, zerstörte es im schlimmsten Fall.
Dieses Ende wissen wir. Mein Vortrag soll vor allem über Biographien und Bildungswege j u n g e r Frauen berichten, die in Freiburg studiert haben, die dazu ihr Leben mit Mut, Optimismus, Energie und Disziplin in die Hand genommen haben. Er wird von gebürtigen Freiburgerinnen erzählen, aber auch von Studentinnen, die nur zum Studieren nach Freiburg kamen.
Eine Ausstellung tabellarischer Biographien ergänzt den Vortrag.