Universität Freiburg Kollegiengebäude III

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79098 Freiburg im Breisgau
Deutschland

HS 1009

Dass der Antisemitismus auch ohne die Präsenz jüdischer Menschen seine irrationalen Kreise zieht, ist innerhalb der radikalen Linken eine weithin geteilte Einsicht; zumindest dort, wo der Judenhass überhaupt noch Gegenstand der kritischen Analyse ist. Dass aber auch der Antizionismus ohne die Existenz des Staates Israel sein Unwesen getrieben hat, diese Vorstellung mutet selbst jenen Fraktionen der radikalen Linken als abwegig an, die sich ihrem eigenen Selbstverständnis nach die Antizionismuskritik auf die Fahnen geschrieben haben. Mit der akademischen Erforschung des Antizionismus teilt die radikale Linke damit jedoch die fraglose Voraussetzung, dass der Hass gegen den Judenstaat eine direkte Konsequenz seiner Gründung sei, womit der fetischistische Überschuss der politischen Dimension des Judenhasses von Grund auf verfehlt wird. Diese Divergenz zwischen Antisemitismus- und Antizionismuskritik verweist auf eine grundlegende ideologiekritische Leerstelle, die allerdings gute bzw. sehr schlechte Gründe hat: Das ubiquitäre Urvertrauen der Linken gegenüber der bürgerlichen Aufklärungsvernunft und ihren Menschenrechten. Denn über alle inneren Spaltungen und inhaltlichen Grabenkämpfe hinweg kommt die radikale Linke doch darin überein, ihren Emanzipationshorizont gleichsam naturwüchsig am Erbe der bürgerlichen Aufklärung auszurichten. Wie doppelbödig der antisemitismuskritische Anspruch bei gleichzeitigem Rekurs auf die Aufklärungsvernunft in Wahrheit ist, lässt sich nicht zuletzt anhand der Philosophie Immanuel Kants aufweisen: Neben seinem notorischen Antisemitismus wartete Kant in seiner Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ bereits im 18. Jahrhundert – also lange bevor die Staatsgründung Israels auf der historischen Tagesordnung stand – mit einer dezidiert antizionistischen Ideologie auf.

Vortrag von Daniel Späth
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