Regie: Richard Eyre | mit Emma Thompson, Stanley Tucci
GB 2017 | DF | 106 Min.
Fiona Maye ist eine renommierte Familienrichterin. Ihre Urteile fällt sie besonnen, sie durchdenkt jeden Fall gründlich und sieht ihren Beruf als Berufung. Diese Tatsache hat sie im Laufe der letzten Jahre ihre Ehe gekostet. Denn ihr Mann Jack wirft ihr vor, sich von ihm entfernt zu haben – und er konfrontiert sie mit seinem Entschluss, eine Affäre anfangen zu wollen. Ein Vorabgeständnis, das Fiona aus der Bahn zu werfen droht. Genau in diesem Moment ereilt sie die Nachricht eines dringlichen Falls: Der 17-jährige Adam ist an Leukämie erkrankt. Um ihn heilen zu können, ist eine Bluttransfusion nötig. Doch Adams Eltern – und auch Adam selbst – lehnen dies ab. Sie sind Zeugen Jehovas und in ihrem Glauben sind Bluttransfusionen verboten. Fiona muss nun schnell eine Entscheidung treffen. Ist es das Recht der Eltern, den Glauben über das Leben des eigenen Sohns zu stellen? Und was wiegt schwerer: Adams Entscheidung - oder das Wohl eines Kindes? Richard Eyres Justiz- und Ehedrama KINDESWOHL ist die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Ian McEwan, für die der Autor auch das Drehbuch beisteuerte. Kunstvoll, ruhig und klug führt der Film Fiona durch die verschiedenen Handlungsebenen. Emma Thompson spielt sie in ihrer ganz eigenen, unvergleichlichen Mischung aus Würde, Empathie, Sanftheit und Entschlossenheit als eine Figur, die nach außen Ruhe gibt und in deren Innern ein Sturm tobt. Der Ehekonflikt, der schwierige Fall und die Einsamkeit der Entscheidungen, die Fiona treffen muss – all das spiegelt sich in Thompsons ausdrucksstarkem Gesicht und ihrer um Fassung bemühten Haltung wieder. Als ihr Ehemann ist Stanley Tucci ein überzeugender Gegenpol, der Fiona fordert, sie verletzt und angreift, aber auch stützt und ergänzt. Gemeinsam gelingt es Thompson und Tucci, eine reife Partnerschaft zu verkörpern, die nur wenige Worte benötigt, um die Geschichte einer Liebe komplett spürbar zu machen. Ebenfalls beeindruckend ist die Leistung von Fionn Whitehead als Adam, der sich und das, woran er glauben kann, völlig neu finden muss. Die Chemie zwischen ihm und Fiona ist mit Händen greifbar, was die gemeinsamen Szenen der beiden umso intensiver gestaltet. Doch neben der privaten zwischenmenschlichen Ebene ist KINDESWOHL auch ein gesellschaftlich hochrelevanter Film, der klug die Rolle der Justiz und der Religion durchdekliniert und dazu noch einen authentischen Blick hinter die Kulissen des britischen Gerichtswesens liefert. Der gefühlvolle Score, der von subtil leisen Tönen bis hin zu dramatischen Momenten variiert, eine perfekte Ausstattung und eine exzellente Kamera sind weitere Gewerke, die KINDESWOHL zum perfekten Erzähl- und Schauspielkino machen.