Werthmannstraße

Der Freiburger CSD geht in die nächste Runde und findet seinen Höhepunkt am Samstag, 1. Juli 2017!

Programm für Samstag, 01.07.2017

15 Uhr: Demonstration/Parade durch die Freiburger Innenstadt
19 Uhr: Abschlusskundgebung auf dem Stühlinger Kirchplatz
22 Uhr: Offizielle CSD-Partys in der Mensa und im Crash

Kampf dem gesellschaftlichen Rückschritt

TEXT ZUM DIESJÄHRIGEN MOTTO

Vor einem Jahr haben wir proklamiert „Mein Herz schlägt gegen Rechts“. Wir schauen auf dieses Jahr zurück und unser proverbialer Schlag wird zu einem Herzrasen! Das Erstarken der Rechten ging weiter und die gesellschaftliche Mitte befindet sich auf dem Rückzug in den Konservativismus. Abgrenzung ist heute wieder en vouge, ausgedrückt durch steigendenden Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus, Homo- und Trans*feindlichkeit. Das alte Spiel von „Wir gegen die Anderen“ versteckt sich jedoch in der heutigen Zeit hinter einigen neuen Masken.

Wir sind Eins – Das europäische Kollektiv im Abgrenzungszwiespalt

Ein paar dieser Masken zeigen sich in der Form von Kollektivdemonstrationen zum Schutze des europäischen Gedankens, beispielsweise „Pulse of Europe“. Diese Ausprägung der selbstbetitelten Anhänger der europäischen Werte beruft sich auf die Stärkung des europäischen Zusammenhalts, Gemeinschaft und Einigkeit, während an den europäischen Außengrenzen Menschen um ihr Leben kämpfen. Sie wollen die diesjährigen Wahlen im europäischen Raum davor bewahren von rechtskonservativen Bewegungen, à la BREXIT und Trump, überrannt zu werden, verpassen es jedoch, sich eben von solchen Bewegungen zu distanzieren und marschieren lieber mit Pegidisten, als diese aufgrund ihrer Ansichten zu verurteilen und abzulehnen.(1)(2)

Wir tanzen auch noch nach der Sperrstunde auf dem Regenbogen – Politischer Kampf endet nicht an der Wahlurne

Die bevorstehenden Wahlen sind jedoch ein Punkt, dem es Beachtung zu schenken gilt. Insbesondere die Instrumentalisierung von spezifischen Gruppen zum Stimmenfang der Parteien. Wahlkampf, der sich an bestimmten Personengruppen orientiert, ist völlig normal und eine gängige Praxis, jedoch kann die Beobachtung gemacht werden, dass Interessen von Minderheiten, wie zum Beispiel der LSBTTIQA*-Community, im Wahlkampf aufgegriffen und im politischen Alltag schnell zur Nebensächlichkeit werden. Eine dieser Interessen ist die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare (auch „Ehe für Alle“ genannt). In der letzten Legislatur ein Thema, das es nicht in die politische Realität geschafft hat. Die Praxis der Stimmenfischerei mit leeren Versprechungen ist abzulehnen und zu verurteilen. Politischer Einsatz für Gleichberechtigung darf nicht mit dem Gang zur Wahlurne erledigt sein, sondern muss erkämpft werden. Es bedarf einer Beteiligung der LSBTTIQA*-Community – auch außerhalb der Wahlkabinen. Wenn wir Ziele erreichen wollen, geht auf die Straßen, engagiert Euch und fordert das ein, was Euch versprochen wird.

Wir wollen doch alle nur normal sein – Kniefall vor der Heteronorm

Die „Ehe für Alle“ wird als größtes Ziel der deutschen LSBTTIQA*-Community angesehen. Dass aber viele Gruppen der Community nicht zu dem kollektiven „Alle“ gehören, wird sehr gerne, sowohl von der breiten Masse als auch der Community, verschwiegen. Ganz besonders Trans*- und Inter*personen leiden unter spezifischen Ehe-Diskriminierungen.(3) Wo zieht die Community den Strich zwischen „Alle“, die noch dazu gehören, und Menschen, die hinten runter fallen? Ist es gewünscht, dass polyamoröse Personen in den Bund der Ehe eintreten dürfen oder soll die Ehe weiterhin ein Bund zwischen nur zwei Menschen sein? Was ist mit Menschen, die sich gemeinsam um pflegedürftige Eltern kümmern? Haben sie dieselben steuerlichen Vorteile einer Ehe verdient? Die Ehe als Fürsorgekonzept ist überholt und nicht auf die heutigen Bedingungen übertragbar. Statt uns in die Heteronorm zu flüchten, lasst uns lieber daran arbeiten neue Konzepte zu etablieren, die wirklich allen zugutekommen.

Heilung, Strafe, Verfolgung, Tod – Die geopolitische Schlinge wird enger

Während deutsche Aktivist*innen sich darum bemühen ihren politischen Kampf am Traualtar zu beenden, bangen LSBTTIQA* in der restlichen Welt um ihr Leben. Gefängnis- und Todesstrafen auf Homosexualität stehen in vielen Ländern noch gesetzlich festgeschrieben. In Tschetschenien wurde gerade erst ein Internierungslager für Homosexuelle errichtet.(4) In Isfahan, der Partnerstadt Freiburgs, wurden erneut 30 Homosexuelle festgenommen, schikaniert und haben Aussicht auf die im Iran immer noch gängige Todesstrafe.(5) In Nigeria wurden die Gäste einer symbolischen privaten Trauung von zwei Männern allesamt verhaftet.(6) In den USA sitzen offenkundige Feinde der LSBTTIQA*-Community in hohen politischen Ämtern. Homo- und trans*phobe Angriffe gehören nach wie vor zum Alltag rund um die Welt, so auch in Freiburg. Die Gleichstellung von LSBTTIQA* ist also noch sehr weit entfernt und befindet sich momentan gesellschaftlich betrachtet auf dem Rückschritt.

Angst und Sorgen gegen Fundamentalkritik – Der Widerspruch im Umgang mit Rassismus und Antisemitismus

Auch in anderen Bereichen lässt sich der Rückschritt deutlich erkennen. Die Anzahl an rassistischen und antisemitischen Übergriffen nimmt immer weiter zu. So musste beispielsweise ein Vierzehnjähriger seine Schule in Berlin-Friedenau verlassen, da er sich mit konstanten antisemitischen Anfeindungen und Angriffen durch seine Mitschüler*innen konfrontiert sah. Die antisemitische Motivation der Taten wurde durch die Schulleitung und der Elternschaft relativiert und ausgeblendet. Der gesellschaftliche Aufschrei blieb aus. Der Aufschrei bleibt auch bei rassistisch motivierten Angriffen aus. Wenn ein Flüchtlingsheim brennt oder mit eindeutiger Symbolik beschmiert wird, ist das nur Ausdruck von Angst, oder gar Kritik. Im Gegenteil hierzu gibt es gesellschaftliche Strömungen, die differenzierte Kritik an religiösem Fundamentalismus, wie dem politischen Islam in Formen beispielsweise des IS oder der Sharia, durch den Vorwurf des Rassismus versuchen mundtot zu machen.(7)

Emanzipation ist gut aber, nur zu unseren Konditionen – Antifeminismus und der politische Umgang mit Frauen

Auch der feministische Diskurs ist oftmals ein Opfer der Instrumentalisierungsmaschinerie. So werden sexuelle Übergriffe gegenüber Frauen nach wie vor als Banalitäten gehandelt und die Tat und der Schaden dem potentiellen Imageverlust der Täter gegengerechnet. Geht es jedoch darum das westliche Kollektiv vor den Eindringlingen, namentlich den nicht europäischen Männern, zu verteidigen, so sprechen sich absurderweise ausgerechnet die Konservativen und Rechten dafür aus, dass „unsere emanzipierte Frau“ geschützt werden müsste, obwohl deren Ideologie Frauen lieber hinter dem Herd sehen würde. Frauen sollen und dürfen sich in der westlichen Welt emanzipieren, so lange es den Bedingungen der patriachalen Gesellschaft nicht schadet. Dass jedoch Übergriffe, wie häusliche Gewalt oder Vergewaltigungen, auch in biodeutschen Haushalten eine Regelmäßigkeit haben, findet kein öffentliches Gehör.

Queer existence is resistance – Nur auf den Hinterbeinen kämpft sich´s gut

Wer glaubt der Kampf für Emanzipation und Gleichberechtigung neigt sich dem Ende, hat sich getäuscht. Der gesellschaftliche Diskurs zwingt uns den Kampf weiterzuführen, und zwar nicht nur gegen die extreme Rechte, die Rechtspopulisten, sondern gegen den gesamtgesellschaftlichen Rückschritt. Wir bleiben stark, wir kämpfen weiter, wir bleiben weiterhin ERFRISCHEND UN(D)BELIEBT!

Erfrischend un(d)beliebt