Am Tag des Besuchs der von Bundeskanzelerin Angela Merkel beim türkischen Staatspräsidenten Erdogan erreichen uns neue Schreckensmeldungen aus der von den türkischen Soldaten belagerten kurdischen Stadt Cizîr (trk. Cizre). Der HDP Abgeordnete Faysal Sariyildiz berichtet der Nachrichtenagentur Firat (ANF), dass in einem Keller in Cizîr bis zu 30 völlig ausgebrannte Leichname entdeckt worden seien. „Aus einem zweiten Gebäude hatten wir die Meldung erhalten, dass bis zu 62 Menschen, darunter viele Verletzte, festsitzen. Auch hier erreichen uns Meldungen, dass rund ein Dutzend von ihnen ermordet worden sind“, so Sariyildiz. Der HDP Abgeordnete spricht von einem der größten Massaker der letzten Jahre. Am Sonntagabend berichtete das türkische Staatsfernsehen TRT, dass „60 Terroristen außer Gefecht gesetzt worden sind“. Am heutigen Morgen wurde diese Zahl nicht mehr bestätigt.
Die Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) hat am Wochenende einen Bericht zu den Folgen der Ausgangssperren in den kurdischen Siedlungsgebieten veröffentlicht. So sind seit der Ausrufung der ersten Ausgangssperre am 16. August 2015 mindestens 224 Zivilisten, darunter 42 Kinder, ums Leben gekommen. Mindestens 31 Menschen erlagen ihren Verletzungen, weil das türkische Militär den Zugang von Krankenfahrzeugen zu verletzten Personen verhindert hat.
„Wir sollten aufhören, die Türkei zu kritisieren”, sagte der Innenminister der BRD, Thomas de Maizière, in einem Interview. Deutschland und die EU setzen in der Flüchtlingskrise voll auf die Türkei. Drei Milliarden Euro bekommt das Land, um Flüchtlinge von den EU-Außengrenzen fernzuhalten. Doch im Schatten dieser Flüchtlingskrise führt die türkische Regierung einen erbitterten Krieg gegen das kurdische Volk im Nordkurdistan. Es ist eine ungeheuerliche Provokation, dass ein Staat, der um die Aufnahme in die EU nachsucht, gleichzeitig ein Volk innerhalb seiner Grenzen systematisch bekämpft. Die Bundesregierung spielt die drei Affen und verbietet sich jegliche Kritik am türkischen Staat. Thomas de Maizière sprach vergangene Woche von einem Interessenausgleich mit der Türkei. Bedeutet dieser Interessenausgleich die Legitimation der barbarischen Ermordung von Kurden und Kurdinnen im Südosten der Türkei? Bedeutet dieser Interessenausgleich das Stillschweigen der internationalen Staaten-gemeinschaft, wenn die Türkei einen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung führt?
Die Menschen in Kurdistan wollen in Frieden leben. Einen Frieden, den man nicht auf militärischer Ebene herstellen kann, wie der “demokratische“ türkische Staat uns vermitteln will. Die ermordeten ZivilistInnen kamen nicht bei einem Luftangriff um! Sie wurden gezielt von Einsatzkräften im Keller umgebracht. Es war nie das Ziel der türkischen Regierung nur die “PKK-Sympathisanten” zu stoppen, sondern die systematische Terror- und Angstverbreitung in der Bevölkerung.
Kommt uns das denn nicht bekannt vor? Die Ziele Erdogans waren schon 1988 offensichtlich:
„Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“
Der Despot R.T. Erdogan führt einen offenen Vernichtungskrieg gegen alle demokratischen Kräfte und scheut dabei nicht das Militär offensiv gegen die unschuldige Zivilbevölkerung einzusetzen, die sich seit Monaten unter starken Repressalien befindet. Als Vorwand wird der Krieg gegen den angeblichen Terrorismus genannt, wobei sich im Keller keine kurdischen FreiheitskämpferInnen befanden, sondern nur Menschen, die die Besatzungsmacht Türkei nicht akzeptiert haben, die Selbstverwaltung ausgerufen haben und sich geweigert haben ihre Heimat zu verlassen.
Anstatt den politischen Druck gegen die türkische Regierung zu erhöhen, setzen die europäischen Staaten, allen voran die deutsche Bundesregierung, auf eine Fortsetzung der heuchlerischen Außenpolitik mit der Vereinbarung zur Erhöhung des Etats für die Flüchtlingskrise. Was sie aber völlig ignorieren ist die Tatsache, dass sich seit August 2015 über 200.000 Menschen innerhalb der Türkei auf der Flucht vor Terror und Krieg befinden!
Es wurden Friedensverhandlungen und Perspektiven seitens der kurdischen Freiheitsbewegung und dem kurdisch-türkischem Projekt in Form der HDP bewusst ignoriert. Wer Frieden schaffen will, sollte nicht wie die Regierung Ankaras von Beginn an mit Konsequenzen drohen, sondern nach einem Konsens suchen.
Die Folge dessen sah man in den letzten Monaten und Jahren in den unzähligen Massakern wie in Diyarbakir, Suruç, Ankara, Istanbul, etc. Mit einer offenen Unterstützung von faschistischen Gruppierungen und Gleichschaltung der Medien erfolgt ein Schießbefehl auf die Menschlichkeit! Ein Schießbefehl, der alle moralischen Werte vernichtet, Blutbäder verursacht, Hass und Wut schürt und dabei keine Rücksicht auf unschuldige ZivilistInnen nimmt. Wer nur sein Haus verlässt, um lebensnotwendige Lebensmittel oder Medikamente zu besorgen, kann seiner Familie nicht versprechen, heil zuhause anzukommen. Wer versucht sich für Frieden einzusetzen, setzt seine Existenz und die seiner Familie aufs Spiel!
Wir verurteilen das Massaker auf das Schärfste und rufen alle demokratischen Kräfte dazu auf, ihre Stimme gegen den schmutzigen Krieg gegenüber dem kurdischen Volk zu erheben! Erhebt eure Stimme dagegen, dass das Leben der ZivilistInnen in Nordkurdistan, wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der EU zum Opfer fällt.