Zum Verhältnis von Staat und NSU im postnazistischen Deutschland Jahrelang bomben und morden die Nazis des NSU, jahrelang kommen ihnen Polizei und Verfassungsschutz nicht auf die Schliche, einer der größten Fahndungen in der Geschichte der Bundesrepublik zum Trotz. Dass dieses Nicht-Entdecken auf Zufall oder das Versagen Einzelner zurückzuführen sei, glaubt niemand: Längst hat sich die Gewissheit durchgesetzt, dass ohne die Unterstützung des Staates die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ nicht möglich gewesen wäre – der NSU ist zur „Staatsaffäre“ geworden. Geprägt ist der bürgerliche Staat auch durch die Antinomie zwischen Macht und Gesetz, Souveränität und Freiheit. Ein Widerspruch, den der Staat nicht zu lösen im Stande ist, und der sich Bahn bricht in der ewigen Konkurrenz von Polizei und Geheimdiensten: also in der Frage, ob jemand für sein Verbrechen angeklagt oder vom Staat noch für mehr gebraucht wird. Dass es in Deutschland um den Staat schlimmer bestellt ist als es diese Kritik der politischen Ökonomie zu treffen vermag, wäre mit ihr und am Beispiel des NSU zu zeigen: Mit keiner rassistischen Verschwörung, keinem Einzeltäter, keinem individuellen Fehlverhalten kann erklärt werden, warum jahrelang an der Nazi-Bande vorbei ermittelt wurde. Vielmehr tritt zum Widerspruch aus Macht und Gesetz im postnazistischen Deutschland die Konkurrenz in den Sicherheitsbehörden, der Wettbewerbsföderalismus im Gewaltmonopol: Die Rackets von BfV und LfV, BKA und LKA, BND und MAD bekämpfen und behindern sich gegenseitig, so dass der NSU ungehindert morden kann. Die deutsche Linke kann diesen Zusammenhang aus postnazistischer Konstellation und rechten Morden nur personalisiert sehen. Im Raunen von der Verschwörung im Staatsapparat wie in der Forderung nach einer Auflösung des Verfassungsschutzes zeigt sich die wahnhafte Hoffnung, den Souverän aus dem Volksstaat entfernen und durch Zivilgesellschaft und Antifagruppen ersetzen zu können.
Daniel Poensgen (Berlin) arbeitet zum Verhältnis von Staatsverständnis und Antisemitismus.