Uni: KG1, HS 1221

Vortrag mit Dr. Harry Waibel

Anhand von Materialien aus Archiven der ehemaligen DDR belege ich über
8.500 politische, also neonazistische, antisemi­tische und ras­sistische
Propaganda- und Gewaltstraftaten, die im Wesentlichen von der SED, von
der Geheimpolizei (MfS) und der Volkspolizei geheim ge­halten wurden.
Davon sind etwa 7.000 Angriffe neonazistisch, etwa 900 Angriffe sind
anti­semitisch, davon etwa 145 Friedhofsschändungen und etwa 700
„Vorkommnisse“ sind Aus­druck des latenten und manifesten Ras­sismus.
Diese 700 „Vorkommnisse“ beinhalten über 200 rassistische Pogrome und
pogrom­ähnliche Auseinan­dersetzungen, bei denen unzählige Ausländer
Opfer von Rassisten und Neonazis geworden sind. Insgesamt gab es dabei
10 Tote und Tausende von Verletzten. Die Angriffe wurden in den
al­lermeisten Fällen von jünge­ren Männern durchgeführt und fanden in
über 400 Städten und Gemeinden der DDR statt.

Entgegen der viel verbreiteten Ansicht in Hoyerswerda hätte es 1991 das
erste rassisti­sche* *Pogrom in der deut­schen Nachkriegsgeschichte
gegeben, ist es tatsächlich so, das in Er­furt im August 1975 das erste
rassistische Pogrom der deutschen Nach­kriegsgeschichte statt­gefunden
hat, als algerische „Vertragsarbeiter“ über mehrere Tage hinweg von Mobs
durch die Stadt gejagt wurden. Der erste Angriff deutscher Rassisten auf
ein Wohnheim, ähnlich dem von 1991 in Hoyerswerda, fand im Februar 1977
in Dessau statt, als ein Wohnheim für algerische Arbeiter mit Steinen
angriffen wurde. Für die DDR sind über 30 rassistische Angriffe auf
Wohnheime von ausländischen Arbeitern belegt. In Merse­burg wurden im
August 1979 zwei Kubaner getötet und anschließend sorgte die Partei- und
Staatsführung der DDR mit einem Verbot dafür, dass Ermittlungen durch
Staats­anwaltschaft und Volkspolizei nicht stattfanden. Es wird noch
juristisch geprüft, ob und wie ein neues Ermittlungsverfahren zur
Aufklärung der Umstände des Todes der bei­den kubanischen Arbeiter
möglich ist.

Diese rechte Bewegung in der DDR wird bis in die Gegenwart hinein
verdrängt und verleug­net und damit wird die Reflexion der Ursachen und
Folgen von Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus im Osten mindestens
erschwert. Und das obwohl seit 1990 belegt ist, dass in den östlichen
Bundesländern die Anzahl der Angriffe auf Ausländer relativ gesehen,
also ge­messen an der Zahl der Bevölkerung, 2- bis 3-mal höher ist als
im Westen.

Im Rahmen des Vortrags soll versucht werden eine Brücke zu heutigen
Entwicklungen (PEGIDA, fremdenfeindliche Anschläge, …) im Osten
Deutschlands zu schlagen und im Anschluss genug Raum zur Diskussion
gegeben werden.

Auszüge aus der Vita des Referenten:

Ab 1968 hatte Harry Waibel Kontakt zur APO in Lör­rach und Basel, zur
Marxistischen Arbeiterschule Lörrach und zum Repulikanischen Club
Lörrach-Haagen. Von 1970 bis 1972 war er Mitglied der Jungsozialisten in
der SPD.

1973 war Waibel Mitbegründer der Bürgerinitiative gegen Atomkraftwerke
(AGAS) in Schwörs­tadt und Mitbegründer eines Betriebsrates und
stellvertretender Betriebsratsvorsitzender in ei­nem Lör­racher Unternehmen.

Danach bereitete er sich von 1974 bis 1975 in Freiburg auf das
Begabten-Abitur am Kol­ping-Kolleg vor. Dieser Schulbesuch und die
folgenden Studiengänge bis einschließ­lich der Promotion sind von der
gewerk­schaftseigenen Hans-Böckler-Stif­tung finanziert worden.

Von 1975 bis 1979 absolvierte Harry Waibel ein Lehramtsstudium an der PH
Freiburg für Deutsch, Ge­schichte und Soziologie. Während dieser Zeit
war er an der PH Mitglied der „Linken Liste“ und gewähltes Mitglied des
Studierendenrats. In Freiburg und Südbaden beteiligte er sich am
Häuserkampf und antifaschi­sti­schen Aktionen sowie am Kampf gegen das
ge­plante AKW Wyhl und das geplante Bleiwerk in Marckolsheim (Elsass).
Ab der Zeit war er Mitglied des undogmatischen Sozialistischen Büro (SB)
Offenbach.

Ab 1979 studierte Harry Waibel Politische Bil­dung an der Freien
Universität Berlin in den Fächern Er­zie­hungswissenschaft, Psychologie
und Soziologie, d. h. Studium der Geschichte, der Sozial­psy­cholo­gie
und -philosophie des deutschen Faschismus und den Folgen.

Beginn der politischen und wissenschaftlichen Aufklärung zum Antisemitismus.

1988 Mitbegründer der „Linken Liste Frei­burg“. Fortsetzung und Abschluß
des Studiums der Politi­schen Bildung an der Freien Univer­sität Berlin
als Diplom-Pädagoge.

Von 1990 bis 1996 forschte Waibel im Rahmen seiner Promotion am Zentrum
für Antisemitis­musfor­schung der TU Berlin zum Neonazismus, Rassismus
und Antisemitismus in der DDR.

Seit 1997 arbeiter Harry Waibel freiberuflich als Historiker zum
Nazismus, Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus in Deutschland.

Monographien:

Rechtsextremismus in der DDR, Köln, 1996.

Diener vieler Herren. Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR,
Frankfurt/M. 2011.

Rassisten in Deutschland, Frankfurt/M. 2012.

Der gescheiterte Antifaschismus der SED – Rassismus in der DDR,
Frankfurt/M. 2014.