Strandcafé

Adlerstraße 12
79098 Freiburg im Breisgau
Deutschland

Diogenes in Freiburg / Politische Hintergründe der Häuserkämpfe in den
70ern und 80ern

Dokumentation, im Anschluss Kneipe

Rezension aus der BZ:

ZEITGESCHICHTE

Doku über Freiburger Häuserkämpfe glänzt mit unbekanntem Material
Siggi Held und Bodo Kaiser dokumentieren im letzten Teil ihrer
Filmtrilogie die Freiburger Häuserkämpfe der 70er- und 80er- Jahre.

Unter dem Titel "Diogenes in Freiburg" präsentieren die Freiburger
Filmemacher Siggi Held und Bodo Kaiser nun den letzten Teil ihrer – vom
Kulturamt der Stadt geförderten – Trilogie über bedeutende politische
und soziale Auseinandersetzungen in Freiburg. Nach Dokumentationen über
die Repression durch Berufsverbote nach dem Radikalenerlass 1972 und der
Rolle der Linken im Kampf gegen das Atomkraftwerk Wyhl geht es nun um
die teils militanten Hausbesetzungen Ende der siebziger und Anfang der
achtziger Jahre. Nach langer, mühseliger Suche konnten die beiden eine
erstaunliche Fülle von wertvollem dokumentarischem Material
zusammentragen, das sie mit ausführlichen Statements von
repräsentativen Aktivisten der Hausbesetzerszene und der Gegenseite zu
einem spannenden Zeitdokument montierten.

In Freiburg herrschte damals eine politische Ausnahmesituation. Im Film
verblüffend klar von Alt-OB Rolf Böhme (SPD) analysiert: Die explosive
Kraft der zuvor bereits erfolgreichen Anti-AKW-Bewegung im Dreyeckland
schwappte zurück in die Stadt, in der hohe Arbeitslosigkeit und
Wohnungsnot herrschten. Trotzdem ließen Spekulanten Häuser zumauern und
leer stehen. In der Freiau wurden erste Häuser besetzt und brutal
geräumt. Die Empörung wuchs, und im Laufe der Zeit befanden sich bis
zu 40 Häuser in den Händen der Besetzer. Punks, Spontis,
Feministinnen, Anarchos, Autonome bis hin zu den straff organisierten
K-Gruppen bildeten die Szene.

Werner Wagner, ehemaliger Einsatzleiter der Polizei, bestätigt im Film,
dass "die Stimmung am Kochen war", und verhehlt nicht, dass es auch
unter den Freiburger "Normalbürgern" große Sympathien für die Anliegen
der Bewegung gab. In den besetzten Häusern entwickelte sich eine
vielfältige Gegenkultur, die Utopie von der Verbindung von
selbstbestimmtem "Leben, Wohnen und Arbeiten" wurde versucht zu
realisieren. Über allem schwebte eine zunehmende Politisierung mit
teilweise heftigsten Auseinandersetzungen zwischen den diversen
Fraktionen. Des ungeachtet empfanden die Beteiligten die dort gemachten
Erfahrungen für sich als "toll, spannend und prägend". Selbst dem
Polizisten Wagner war eine klammheimliche Sympathie anzumerken, als er
sich von dem Spruchband "Leben, lieben lernen ohne Aufsicht und
Bevormundung" beeindruckt zeigte.

Diese komplexe und elektrisierende Stimmung vermittelt der Film bis ins
Detail meisterhaft in noch nie gesehenen Bildern und inhaltsreichen
Aussagen von Zeitzeugen. Bundesweit war Freiburg damals als Krawallstadt
und Chaotenhochburg verschrien, und auch die herrschende Landes-CDU
forderte harsches Durchgreifen. Anders Oberbürgermeister Böhme. Er
setzte auf Deeskalierung, "denn die Stadt musste befriedet werden, um
wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen". Böhme bot der
alternativen Szene Projekte in Selbstverwaltung an, wenngleich er
andererseits durch seine Räumungspraxis keinen Zweifel an seiner
Null-Toleranz-Politik gegenüber Besetzungen ließ. Diese Strategie
verfing bei einem Teil der Bewegung – und noch heute bestehende Projekte
wie E-Werk, Theater im Marienbad, Grether Gelände, Kommunales Kino bis
hin zum Crash am Bahnhof nahmen hier ihren Anfang. Dies war sicherlich
nicht der einzige Grund für den Zerfall der Bewegung, aber auch
darüber gibt der Film weitere Auskunft.
Allein durch seinen Reichtum an bisher unveröffentlichtem Material ist
"Diogenes in Freiburg" ein Juwel – und trotz manch dramaturgischer
Länge ein Muss für jeden an sozialen Bewegungen Interessierten.
Vielleicht ist es irgendwann auch einmal möglich, die Triloge am Stück
zu zeigen.

Strandi-Kneipe mit Dokumentarfilm
Type of Event