Der im ça ira-Verlag erschienene Reprint der Erstauflage des Kapitals
von macht diesen für die neuere Marx-Lektüre grundlegenden
Text leicht zugänglich, wobei sich die Frage aufdrängt, ob die bisheri-
gen gängigen Ausgaben nicht auch ausreichen. Eine Einführung in die
unterschiedlichen Fassungen der Marx‘schen Kritik der politischen Öko-
nomie zeigt anhand der verschiedenen Variationen ihres Kernstücks, d.i.
der Wertformanalyse, dass die Varianten von Marx als Ausdruck einer
Krise der Theorie interpretiert werden müssen, die auch auf die Neue
Marx-Lektüre übergrei. Diese ging mit Georg Lukács davon aus, alle
Probleme der durch das Kapital vermittelten Gesellscha durch die Lö-
sung des ›Rätsels der Warenstruktur‹ auflösen zu können. Durch die
Wiederentdeckung der Erstauflage des Kapitals glaubte man, diesem
Ziel etwas näher gekommen zu sein, weil in ihr das ›Problem des dia-
lektischen Widerspruchs‹ noch erkennbar sei, während Marx die Dia-
lektik in den späteren Auflagen verwässert und den Text mit »Pseudo-
dialektik« (Hans-Georg Backhaus) kontaminiert habe. Die These von
der Entstellung der dialektischen Methode durch Popularisierung er-
weist sich allerdings als Finte: Das Unverständnis, auf das die Wert-
formanalyse nicht nur bei den ersten Lesern (Friedrich Engels und
Louis Kugelmann) stößt, hat seine Ursache nicht darin, dass die Leser
nicht »durchaus in dialektisches Denken eingewohnt« sind (Marx in der
Erstauflage), sondern lässt erkennen, dass Marx mit seiner Analyse auf
eine Frage antwortet, die er im Text gar nicht stellt. Stattdessen lässt er
den Leser völlig im Unklaren darüber, was mit dem zwischen wissen-
schalicher Abhandlung, Kritik, Polemik und Nachhilfeunterricht in
politischer Krisenbewältigung für rückständige Nationen seltsam os-
zillierenden Buch überhaupt erreicht werden soll. Marx‘ innere Wider-
sprüchlichkeit desavouiert das Anliegen der Neuen Marx-Lektüre, das
›Ganze der Wertformtheorie‹ zu rekonstruieren. Dennoch bleiben die
Marx‘schen Kategorien, zu deren Aulärung jene Lektüre beitrug, un-
verzichtbar für eine Kritik, die den Wert in der Form des Kapitals als
ein gesellschaliches Verhältnis diffamieren lehrt, das wie ein lebendi-
ges Subjekt auritt – ein Subjekt allerdings, das sich stets nur von der
Möglichkeit der Krise zu ihrer Wirklichkeit entfalten kann.
Es spricht Aljoscha Bijlsma (Wien), Autor des Artikels Schwierigkeiten
bei der Lektüre der Erstauflage des Kapitals, erschienen in der Zeitschri
sans phrase
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